HOAI: Mindest- und Höchstsätze vor dem Aus?
Bisher galten für Planungsleistungen von Architekten und Ingenieuren mit Sitz in Deutschland durch die HOAI zwingende Mindest- und Höchstsätze, wenn die Grundleistungen für Flächen-, Objekt- und Fachplanung in Deutschland erbracht wurden. Dieses System dürfte nach einer Entscheidung des EuGHs im 2. oder 3. Quartal 2019 kippen. Was wird in Zukunft für Honorarabrechnungen gelten?
Aktuelle Systematik der Mindest- und Höchstsätze der HOAI
Das System der Mindest- und Höchstsätze der HOAI hindert nach Auffassung der Europäischen Kommission ausländische Dienstleistungserbringer ohne Sitz im Inland am Marktzugang. Ohne Sitz im Inland ist es für ausländische Dienstleistungserbringer aus anderen EU-Mitgliedstaaten ohnehin schwieriger, Kunden zu gewinnen. Diese Situation wird verschärft, da aufgrund der Regelungen der HOAI festgelegte Mindestpreise nicht unterboten werden dürfen. Somit stellt diese Vorschrift einen wesentlichen Eingriff in die Privatautonomie der Parteien dar. Qualitätsmäßig höherwertige Leistungen konnten bisher nicht über den Höchstsätzen vereinbart werden. § 7 der HOAI gestattet nur in sehr begrenztem Ausmaß eine Unter- bzw. Überschreitung der Mindestsätze. In der Konsequenz können Unternehmen nicht über den Preis konkurrieren. Auf dem Prüfstand des EUGHs stehen die §§ 1, 3 und 7 der HOAI, weil sie gegen die Dienstleistungsrichtlinie verstoßen.
Die vorbeschriebene Situation war Anlass dafür, ein Vertragsverletzungsverfahren durch die EU-Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland in Bezug auf Mindest- und Höchstpreise für Planungsleistungen von Architekten und Ingenieuren aufgrund des HOAI-Systems einzuleiten. Auf dem Prüfstand steht „Vertragsverletzung – Dienstleistungen im Binnenmarkt – Richtlinie 2006/123 –Art. 15 – Preise der Architekten und Ingenieure – Verbindliche Preis“ Rs. C-377/17 (Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2016 über die Dienstleitungen im Binnenmarkt – ABl. 2006, L 376, S 36).
Ein konkreter Nachweis, wonach ein verbindliches Preisrecht für die Qualitätssicherung von Architekten- und Ingenieurleistungen erforderlich sei, konnte seitens der Bundesrepublik Deutschland nicht erbracht werden.
Am 28.02.2019 hat der Generalanwalt Maciej Szpunar folgenden Schlussantrag vor dem EuGH gestellt: „Der Europäische Gerichtshof sollte erklären, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen Europarecht verstoßen hat, indem sie Planungsleitungen von Architekten und Ingenieuren durch die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure zwingenden Mindest- und Höchstsätzen unterworfen hat.“
Ausblick
Folgt der EuGH erwartungsgemäß dem vorbeschriebenen Schlussantrag des Generalanwalts, wird die HOAI künftig nicht mehr als zwingendes Preisrecht für die Begründung der Honorarforderungen der Höhe nach von Architekten und Ingenieuren herangezogen werden können. Es stellt sich daher die Frage, wie in Zukunft eine „übliche Vergütung“ zu vereinbaren ist?
Fazit
- Auch ohne HOAI-Mindest- und Höchstsätze lassen sich die Auswirkungen des Preiswettkampfs über eine entsprechend geringe Gewichtung des Preismerkmals (z.B. 30%) in Vergabeverfahren abschwächen.
- Bei Planervergaben können Qualitätseinbußen auch dadurch vermieden werden, dass der Schwerpunkt gemäß § 76 VgV auf den Leistungswettbewerb gelegt wird. Im Übrigen können auch Elemente eines Qualitätswettbewerbs mit Festpreisen (58 Abs. 2 Nr. 3 VgV) genutzt werden.
- Im Einzelfall können Auftraggeber die Mindestsätze der HOAI auch als „Aufgreif-Werte“ der gemäß § 60 VgV durchzuführenden Auskömmlichkeitsprüfung heranziehen und somit Dumpingpreise vermeiden. Vorsicht ist sicherlich bei rechtssicherer Vorbereitung der Vergabeunterlagen mit den HOAI-Sätzen geboten. Bieter werden sich bei Angebotsausschlüssen wegen Abweichungen von HOAI-Vergaben zu wehren wissen.
- Bietern kann trotz der für sie im Einzelfall zu erwartenden günstigeren Entscheidung des EuGHs nicht empfohlen werden, ohne vorherige Rüge im Vergabeverfahren von den Höchst- und Mindestsätzen abweichende Preise anzubieten. Im Einzelfall könnten auch „unauskömmliche“ Preise unterhalb der Mindestsätze bezuschlagt werden.
- Da die Entscheidung des EuGHs erwartungsgemäß nur Höchst- und Mindestsätze betreffen wird, könnten Auftraggeber im Übrigen auf das bewährte System der HOAI zurückgreifen. Dies gilt insbesondere für die Leistungsbeschreibungen und Grundleistungen in den jeweiligen Leistungsphasen, die bei der Vertragsgestaltung und Honorarvereinbarung zugrunde gelegt werden können.
Praxistipp:
Machen Sie sich bereits im Vorfeld der Ausschreibung Gedanken über die Vertragsgestaltung für Ihre Architekten- und Planungsleistungen, insbesondere über zu vereinbarende Leistungsinhalte und Ihre Honoraransprüche. Dabei können bewährte Elemente der Honorarordnung durchaus herangezogen werden. Nutzen Sie die neuen Chancen im Preiswettbewerb und bei der Ausschreibung und Gestaltung Ihrer Architekten- und Ingenieurverträge!
Stellen Sie sich rechtzeitig auf die zu erwartenden Folgen der Entscheidung des EuGHs und die neue Systematik bei der Anwendung der Vorschriften der HOAI ein. Bereits bei Vertragsabschluss können Sie Ihre Durchführungs- und Rechtssicherheit erhöhen. Als vorausschauende Partei eines Architekten- und Ingenieurvertrages müssen Sie es nicht auf ein Urteil eines Gerichts oder Sachverständigen ankommen lassen.
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