Sachverständige als Mediatoren im Bauwesen – passt das gut?

Inhalt

Bei komplexen Bauprojekten sind häufig mehrere Unternehmen mit divergierenden Interessen betroffen, für die sie bei Streitigkeiten bei Bauablaufänderungen, Abrechnungsfragen und Baumängeln eine Lösung brauchen. In solchen Fällen können Sachverständige als Mediatoren bei der außergerichtlichen Streitbeilegung im Bauwesen wichtig sein. Hier kommt es darauf an, dass der Sachverständige das passende Konfliktlösungsverfahren wählt und als Streitlöser neben der Fachkunde auch Mediationskompetenzen mitbringt.

1. Der Bausachverständige als Streitlöser und mediativer Schlichter

Es kann von Vorteil sein, wenn Bausachverständige als Mediatoren tätig werden bzw. über mediative Fähigkeiten verfügen, wenn Konflikte eskaliert sind und die Parteien nicht mehr zeitnah interessensgerechte Lösungen finden können. Als neutrale Vermittler zwischen verschiedenen Parteien können sie dazu beitragen, dass Streitfragen schneller und effektiver geklärt werden. Häufig geht es bei Baustreitigkeiten um baubetriebliche, bauwirtschaftliche und bautechnische Fragestellungen.

Ein Sachverständiger bringt auch als gut ausgebildeter Mediator seine Kompetenz in der Gesprächsführung mit ein und hilft den Parteien bei der Erarbeitung von Lösungen. Doch wie sieht das konkret aus? In welchen Konfliktsituationen kann diese Doppelqualifikation zum Tragen kommen?

Sachverständige als Mediatoren: Tätigkeitsfelder

Der außergerichtlichen Streitbeilegung in Bausachen räumt auch der öffentliche Auftraggeber einen erhöhten Stellenwert ein. Das wurde bereits vor 10 Jahren im Endbericht der „Reformkommission Bau von Großprojekten“ festgestellt.

Als Bausachverständiger oder Bausachverständige können Sie einen wesentlichen Beitrag zum Abbau von bürokratischen Hürden leisten und so Bauwirtschaft, Immobilienwirtschaft, Bürger und BürgerInnen und die Verwaltung massiv entlasten. Dies entspricht der politischen Intension zum Bürokratieabbau und der Bürgerentlastung.

Die Ausgangssituation in der Bauwirtschaft ist konfliktträchtig, u.a. bedingt durch den Fachkräftemangel und Qualitätsmängel in der Bauausführung und in Bauablaufänderungen. Hinzu kommen stetige Wandel in der Rechtsprechung zur VOB/B und des BGB-Bauvertragsrechts und der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes. Daraus folgt, dass der außergerichtlichen Streitbeilegung mit mediativen Konfliktlösungsmechanismen in Bausachen – auch beim öffentlichen Auftraggeber – ein erhöhter Stellenwert eingeräumt werden muss.

Sachverständige verstärken ihr berufliches Tätigkeitsfeld in der Bau- und Immobilienwirtschaft durch die Tätigkeit als Streitlöser und Konfliktlöser. Bausachverständige sind als Mediatoren während und nach der Bauzeit als Experten gefragt. Denn oft treten Konflikte auf –  zwischen Bauherren und Nutzern, Auftraggebern und Auftragnehmern, Architekten, Planern und Projektsteuerern.

Beurteilung von Qualitätsmängeln und Mehrkostenforderungen

Wenn während der Planungszeit oder Bauzeit der Bauablauf gefährdet erscheint, können sie baubegleitend eine Konfliktlösung mit Beurteilungskompetenz bieten. Nach der Bauzeit ist der bauwirtschaftlich, baubetrieblich oder bautechnisch ausgebildete Gutachter mit seinen mediativen Kompetenzen zur Beurteilung von Qualitätsmängeln, Bauzeitnachträgen und Mehrkostenforderungen gefragt.

Die häufigsten und wirtschaftlich dominanten Konflikte am Bau resultieren aus Leistungsänderungen und Bauablaufstörungen. Diese sind einer vertragspezifischen und baubetrieblichen Beurteilung durch Gutachter in Zusammenarbeit mit Baujuristen vorbehalten.

Die häufigsten Baustreitigkeiten über Mängel vor und nach der Abnahme sind bautechnisch geprägt. Diese sind in der Regel der Beurteilung durch Sachverständige vorbehalten. Juristische Problemfelder, die der Prüfung durch Baujuristen vorbehalten sind, sind z. B. Kündigungen von Bauverträgen, Vertragsstrafen und Sicherheiten.

Bausachverständiger versus Gerichtsgutachter

Gerichte verweisen oft im Rahmen der Güteverhandlung auf die Sinnhaftigkeit und den signifikanten Mehrwert der Baumediation. Diese kann als Teil des gerichtlichen Verfahrens oder außerhalb des Gerichts durchgeführt werden. Nicht selten führen aufwendige Beweissicherungsverfahren und Stellungnahmen der Gutachter sowie der Weg durch die Instanzen dazu, dass erst nach acht bis zehn Jahren ein rechtskräftiges Urteil erreicht werden kann.

Auch für die ö.b.u.v. Bausachverständigen ist die Tätigkeit als Gerichtsgutachter oft unbefriedigend. Regelmäßig können sich die Baubeteiligten nach der langen Zeit an die Ereignisse nicht mehr erinnern oder es lässt sich aufgrund der mangelhaften Dokumentationslage der Ablauf des Bauprojektes nicht mehr rechtssicher rekonstruieren.

Am Ende stimmen die Konfliktparteien bei Gericht prozessmüde einem Vergleich zu, der kaum auf Fakten beruht und nur noch dem Rechtsfrieden dient. Insbesondere Bauprozesse können mithilfe eines qualifizierten Bausachverständigen als Mediator ressourcenschonender, zügiger und kostensparender gelöst werden. Das gilt insbesondere dann, wenn die Vertragsparteien auch in der Zukunft zusammenarbeiten wollen.

Außergerichtliche Streitbeilegung: Sachverständiger als Mediator

Je nach Konflikteskalation kann zwischen verschiedenen Konfliktlösungsverfahren gewählt werden. Zu den Big Five der außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahren in der Bauwirtschaft zählen Mediation, Schlichtungen, Adjudikation, Schiedsgutachten oder das Schiedsgericht. Als Mischformen kommen Sachverständige auch bei öffentlichen Auftraggebern im Streitlösergremium (Dispute Board) und die in der frühen neutralen Bewertung (early neutral evaluation) zum Einsatz.

Erfahrene StreitlöserInnen können bei der Auswahl des für das Bauvorhaben und die damit verbundenen erwartbaren Baustreitigkeit unterstützen. Sie kennen die geeigneten Verfahren und können Empfehlungen zu Mediationsverfahren, Schlichtungen, Adjudikationen, Schiedsgutachten oder Schiedsgericht abgeben, weil sie die Spezifika unterbreiten. Das vorzugswürdige Streitbeilegungsverfahren ist zwischen den Bauvertragsparteien am besten bereits vor Baubeginn zu vereinbaren.

Hierdurch ist für den Fall, dass es zu einem späteren Zeitpunkt zum Streit kommt, bereits vorgesorgt. Das BMDV hat einen Leitfaden Großprojekte entwickeln lassen. Die Reformkommission Bau von Großprojekten hat in Ihrem Endbericht unter dem Motto „Komplexität beherrschen – kostengerecht, termintreu und effizient“ unter Punkt 6 des Endberichtes auf die außergerichtliche Streitbeilegung hingewiesen.

Konfliktlösungsverfahren im Vertrag verankern

Demgemäß sollt der öffentliche Auftraggeber in den Verträgen mit den Projektbeteiligten einen internen und einen externen Konfliktlösungsmechanismus verankern. Dazu sollte die öffentliche Hand für die Durchführung externer Streitbeilegungsverfahren Hemmnisse beseitigen und Verfahrensordnungen insbesondere für Mediation und Adjudikation zur Verfügung zu stellen, aus denen öffentliche Bauherren die jeweils geeigneten Instrumente auswählen können.

Daraus folgt: Der Gang zu Gericht sollte in Bausachen immer die Ultima Ratio sein. Je nach Verfahrensart gelten für den Sachverständigen als Streitlöser unterschiedliche Regeln. Er muss als Experte das passende Konfliktlösungsverfahren – entweder als nicht entscheidungsbefugter Leiter des Verfahrens oder als entscheidungsbefugter Dritter – auf den jeweiligen Streitfall abstimmen.

Insbesondere kommt es auf die Frage an, ob er als Gutachter in dem Streitbeilegungsverfahren seine Sachkompetenz einbringen darf, soll oder muss. In diesem Spannungsfeld werden die gängigen Konfliktlösungsverfahren vorgestellt, die in der Baubranche von Sachverständigen angewandt werden, und auf Einsatzmöglichkeiten für mediative Arbeitsweisen geprüft.

2. Der Einsatz des Sachverständigen in den freiwilligen Verfahren der Mediation und Schlichtung

Eines der bekanntesten Verfahren ist die Mediation. Die Baumediation ist das Verfahren, innerhalb dessen die Sachkompetenz des Sachverständigen nur zurückhaltend eingesetzt wird.

Die Baumediation

  • arbeitet vorwiegend auf der Beziehungsebene,
  • ist ergebnisoffen,
  • ist neutral und allparteilich und
  • die Parteien erarbeiten die Lösung ihres Konfliktes selbstbestimmt.

Im Mediationsverfahren nimmt der Sachverständige eine neutrale, allparteiliche Haltung ein. In einem Mediationsverfahren erarbeiten die Parteien selbstbestimmt eine Konfliktlösung. Der Sachverständige ist für die Struktur und den Ablauf des Verfahrens verantwortlich, nicht für das Ergebnis der Streitlösung.

Sachverständige können mediative Arbeitsweisen als StreitlöserIn erfolgreich einsetzen, wenn sie

  • einen wertschätzenden Umgang pflegen,
  • Kommunikationsregeln einführen und einhalten,
  • die Vorgehensweise mit allen Beteiligten abstimmen,
  • Fragetechniken zur Konkretisierung der Themen anwenden,
  • Spiegeln und Reframing oder
  • „übersetzend“ tätig sind.

Beachten Sie aber Folgendes: Wenn Sie in einem Verfahren bereits als Gutachter, insbesondere als ö.b.u.v Bausachverständiger zur Beurteilung von entscheidungsrelevanten Fragen beauftragt wurden, können Sie nicht als Baumediator in derselben Angelegenheit tätig werden. Die originäre Tätigkeit des Sachverständigen erfolgt weitestgehend bewertend. Aus diesem Grund kann der Sachverständige nicht mehr allparteilich und ergebnisoffen das Verfahren leiten. Dies widerspricht auch den gesetzlichen Vorschriften des Mediationsgesetzes und der Rolle der MediatorInnen.

Häufig erwarten die Parteien jedoch vom Streitlöser als Experten mehr Unterstützung bei der Lösungsfindung. In diesen Fall sollten die Parteien einen mediativen Schlichter beauftragen. Wenn die Streitparteien ihr Einverständnis erklären, können ausgebildete Streitlöser gleichzeitig als Sachverständige tätig sein und sich in die Lösungsfindung integrieren. Dadurch werden die formalen Vorgaben des Mediationsverfahrens und Mediationsgesetzes verlassen. Es handelt sich nicht um mehr um ein Mediationsverfahren, dessen Charakteristika eindeutig im Mediationsgesetz verankert und nach den dort ausgeführten Regeln durchgeführt werden müssen.

3. Mediative Elemente im Schiedsgutachterverfahren oder Schiedsgerichtsverfahren

Auch im Schiedsgutachterverfahren und im Schlichtungsverfahren ist die Anwendung mediativer Arbeitsweisen möglich. Die StreitlöserInnen haben in diesem Verfahren im Unterschied zum gerichtlichen Verfahren – auch unter Berücksichtigung der Vorschriften in der ZPO – mehr kreativen Spielraum, dessen Ausnutzung nicht zu einer Gefährdung des Verfahrens als Ganzem (Stichwort: Befangenheit des Gutachters) führt.

Die Parteien können im Schiedsgutachter- und Schlichtungsverfahren den Sachverständigen über den originären Auftrag zur Begutachtung der Angelegenheit hinaus, auch mit der Anwendung von mediativen Konfliktlösungstechniken beauftragen. Der Sachverständige darf dann seine persönlichen Fähigkeiten und Tools zur nachhaltigen Konfliktlösung einbringen. Ein solcher Gutachter kann stark entlastende, eskalationshemmende Effekte sowie erhebliche Zeit- und Kostenvorteile bieten.

Die Entscheidung, ob die mediativen Methoden zweckmäßig und erlaubt sind, wird von den SchiedsgutachterInnen oder SchlichterInnen in Abstimmung mit den Parteien einvernehmlich getroffen. Bei einer solchen mediativen „Zusatz-Beauftragung“ müssen der Sachverständige und die Parteien dringen, Art und Umfang des Auftrags abklären und festlegen. Hierzu gehören:

  • das Prozessziel
  • die Definition des Konfliktes und des Konfliktthemas
  • die Festlegung der Verhandlungs- und Entscheidungskompetenz des Sachverständigen
  • die Klarstellung der langfristigen Interessen und Bedürfnisse der Konfliktparteien.

4. Mediative Elemente in der freien Sachverständigentätigkeit

4.1  Die Sachverständigen im Streitlösergremium (Dispute Board)

Häufig werden Sachverständige von den Bauvertragsparteien auch als Konfliktberater als Streitlösergremium, namentlich als Dispute Board hinzugezogen wird.  Da die Mitglieder dieses Streitlösergremiums vom Fach sind und die Baustelle von Anfang baubegleitend kennen, beugen Sie aufkeimenden Konflikten wirksam vor oder lösen sie zeitnah. Die Starken des Sachverständigengremiums (Dispute Boards) liegen in der freien Vertragsgestaltung.

Sie können sowohl den Konsens wie in der Mediation begünstigen und zusätzlich wie in der Schlichtung nachhaltige Einigungen bei Bauablaufänderungen in Echtzeit favorisieren. Die Sachverständigentätigkeit kann im Falle der Konflikteskalation vertraglich so gestaltet werden, dass ihre Entscheidungen wie bei einem Adjudikationsverfahren für die Bauvertragsparteien während der Bauzeit als bindend anerkannt werden und erst im Nachhinein einem Nachverfahren bei Gericht vorbehalten sind.

4.2 Die Sachverständigen in der frühen neutralen Bewertung (early neutral evaluation)

Hierbei gibt der Sachverständige als Experte eine unverbindliche Einschätzung der technischen oder wirtschaftlichen Sachlage. Es handelt sich um informelles Verfahren, das besonders vorzugswürdig ist, wenn die Prozess-Aussichten der Parteien bei schwierigen Situationen frühzeitig bewertet werden sollen.

Als Gutachter erarbeitet er Lösungsvorschläge und führt auf Basis seiner Fachkompetenz Vergleichsverhandlungen mit den Parteien, häufig als „Streitlöser-Tandem“, bestehend aus einem Baujuristen und dem bauwirtschaftlichen, baubetrieblichen oder bautechnisch ausgebildeten Sachverständigen. Alternativ können diese Experten auch nach Auftreten einer bestimmten Baustreitigkeit von den Parteien beauftragt werden.

Fazit

In der Baubranche gibt es eine ganze Palette alternativer Streitbeilegungsverfahren. Es gibt mit Sicherheit für jeden Konflikt das passende Konfliktlösungsverfahren, wenn eine differenzierte Konfliktbetrachtung im Rahmen der Auftragsklärung erfolgt. Konsensuale Konfliktlösung ist dabei nicht immer gleichbedeutend mit Mediation. Auch ohne ein offizielles Mediationsverfahren können zahlreiche mediative Elemente und die mediative Arbeitsweisen in die einzelnen Verfahren eingebunden werden. Diese können auch beim öffentlichen Bauherren als internes oder als externes Konfliktlösungsverfahren etabliert werden.

Nicht nur den ö.v.u.v. Sachverständigen kommt dabei eine wichtige Rolle zu. Voraussetzung hierfür ist, dass Sachverständige die jeweiligen Anforderungen und Wirkungen der Streitbeilegungsverfahren kennen und als StreitlöserInnen gut ausgebildet sind. Nur dann können sie die mediativen Arbeitsmethoden wirksam anwenden. Je rechtssicherer und kompetenter die Experten agieren, umso größer ist das Spektrum, mediative Arbeit zum Wohle der Streitparteien einfließen zu lassen. Das begünstigt eine nachhaltige Konfliktlösung.

Die Auftragsabklärung ist unverzichtbar bei der mediativen Sachverständigentätigkeit. Hierdurch legen die Parteien den Grundstein für den Erfolg des Konfliktlösungsverfahrens, passend zum Streitgegenstand und zur Konflikteskalation. Sachverständige und Baujuristen müssen als Spezialisten die Charakteristika der unterschiedlichen außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahren kennen.

Aufgrund der aktuellen Krise in der Bau- und Immobilienwirtschaft häufen sich die Baustreitigkeiten signifikant. Außergerichtliche Streitbelegung hilft, langwierige Baustreitigkeiten effizient, geldsparend und nachhaltig zu lösen, weil Konfliktlösungen interessengerecht erarbeitet werden. Besonders in der Baubranche mangelt es an Fachleuten, die über eine fundierte Ausbildung zum StreitlöserIn mit mediativen Kompetenzen verfügen. Es besteht ein erheblicher Weiterbildungsbedarf, da Sachkundige mit qualifizierter Streitlöserausbildung oder zertifizierte Wirtschaftsmediatoren in der Baubranche fehlen.

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