Weiterbildung in ADR-Verfahren

In diesem Blogbeitrag geben wir Ihnen viel Hintergrundwissen  zum Thema ADR-Verfahren, basierend auf einem Forschungsbericht der DGA-Bau.

Sie wollen mehr erfahren und sehen eine berufliche Perspektive in diesem Bereich? Einen Weiterbildungslehrgang für ADR-Verfahren bieten die BVM BauVertragsManagement GmbH mit dem DGA-Bau an: Streitlöser/in DGA-Bau-Zert® für die Bau- und Immobilienwirtschaft. Im Anschluss besteht die Möglichkeit einer Ausbildung zum/zur Wirtschaftsmediator/in.

Mit ADR-Verfahren Konflikte am Bau außergerichtlich lösen

Die Planung und Ausführung von Bauvorhaben sind meist sehr komplex. Gründe dafür sind u. a. die Neuartigkeit der zu bewältigenden Aufgabe, Schnittstellen zwischen einzelnen Gewerken, oder eine dynamische Entwicklung der Projektziele und Umweltbedingungen.

Mit dieser hohen Komplexität ist ein hohes Konfliktpotenzial verbunden. Aufgrund mangelnder Sensibilität für Konfliktprävention und Konfliktmanagement bei den Beteiligten können unterschiedliche Auffassungen schnell eskalieren. Ist ein Streit nicht auf dem Verhandlungsweg beizulegen, treten die Parteien oft an staatliche Gerichte heran.

Neben Gerichtsverfahren gibt es jedoch andere Streitbeilegungsverfahren. Unter dem englischen Begriff Alternative Dispute Resolution (ADR) werden alle Verfahren der Streitbeilegung zusammengefasst, die ohne den Einsatz staatlicher Gerichte eine Lösung von Konflikten anstreben. Diese Verfahren werden im Folgenden als ADR-Verfahren bezeichnet.

Welche Streitbeilegungsverfahren gibt es?

Die wichtigsten ADR-Verfahren für das Bauwesen sind:

  • Mediation,
  • Schlichtung,
  • Adjudikation,
  • Schiedsgutachten
  • Schiedsgerichtsverfahren.

Forschungsprojekt: „Ursachen der Bevorzugung von Gerichtsverfahren gegenüber der außergerichtlichen Streitbeilegung“

Zwar werden die Vorteile von ADR-Verfahren hinsichtlich der Kosten, der Dauer und auch der Auswirkungen auf die weitere Geschäftsbeziehung von vielen erkannt, in der Praxis bleibt die Anzahl der Anwendungen dieser Verfahren jedoch deutlich unterhalb der Erwartungen.

Aus diesem Grund hat die Deutsche Gesellschaft für Außergerichtliche Streitbeilegung im Bauwesen (DGA-Bau) in Zusammenarbeit mit dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) das Forschungsprojekt „Ursachen der Bevorzugung von Gerichtsverfahren gegenüber der außergerichtlichen Streitbeilegung durch die Streitparteien im Bauwesen“ durchgeführt. Der Blogartikel gibt die Ergebnisse in Auszügen wieder.

Das Forschungsvorhaben befasst sich mit Konflikten im Bauwesen („Baukonflikten“). Betrachtet werden hierbei Konflikte, die in der Planungs-, Ausführungs- oder Gewährleistungsphase von Bauprojekten entstehen.

Ziel des Forschungsvorhabens ist es, die Ursachen der Bevorzugung von Gerichtsverfahren im Zuge der Wahl der Streitbeilegungsart zu untersuchen und mögliche Maßnahmen zur Beseitigung von Anwendungshemmnissen von ADR-Verfahren zu erarbeiten.

Die Gründe für das hohe Konfliktpotenzial von Bauvorhaben sind sehr vielschichtig. Innerhalb der Projekte ist eine Vielzahl von Personen und Unternehmen beteiligt, die in vielen Fällen erstmals zusammenarbeiten und zudem sehr unterschiedliche Interessen verfolgen. Gleichzeitig erfordert die hohe technische und organisatorische Komplexität der Projekte jedoch von den Beteiligten interdisziplinäres Denken und Arbeiten. Es werden hohe Anforderungen an die Kommunikation zwischen den Beteiligten gestellt, die häufig nicht erfüllt werden.

Ein starker Wettbewerbsdruck unter Planungs- und Bauunternehmen sowie gestiegene Bauherrenanforderungen führen zu einem hohen Kosten- und Zeitdruck. Jede Störung oder Verzögerung innerhalb des komplexen Bauablaufs kann hohe Folgekosten nach sich ziehen. Der Druck auf die Projektbeteiligten ist immens.

Basierend auf diesen Umständen können im Laufe eines Bauvorhabens immer wieder Konflikte entstehen. Da Konfliktprävention und Konfliktmanagement nicht im Fokus der Beteiligten stehen, können unterschiedliche Auffassungen schnell eskalieren und sich zu Konflikten mit verhärteten Fronten entwickeln. Ist der Streit nicht auf dem Verhandlungsweg beizulegen, treten die Parteien oftmals unmittelbar an staatliche Gerichte heran. Auf Datenbasis des Statistischen Bundesamts lässt sich beispielhaft für das Jahr 2014 die Zahl der erledigten Verfahren, die Baukonflikte zum Gegenstand hatten, mit über 70.000 abschätzen.

Gerichtliche Auseinandersetzungen weisen jedoch wesentliche Nachteile auf. Neben hohen Kosten und langen Verfahrensdauern ist der Ausgang der Gerichtsverfahren oftmals ungewiss. Lediglich ein Viertel aller Verfahren enden mit einem streitigen Urteil.

Außerdem stößt das deutsche Rechtssystem bei komplexen Bausachprozessen, bei denen es oftmals nicht nur um rechtliche, sondern häufig auch um technische Fragestellungen geht, an seine Grenzen. Aus diesem Grund sollten ADR-Verfahren gefördert werden.

Insbesondere bei öffentlichen Auftraggebern ist die Streitbeilegung mit Hilfe eines ADR-Verfahrens die Ausnahme. Dabei findet die außergerichtliche Konfliktlösung immer mehr Einkehr in deutsche Gesetze und Verordnungen. In den „Allgemeinen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen“ (VOB TEIL B), die verpflichtend für Bauverträge der öffentlichen Hand anzuwenden sind, wird in §18 Nr.3 auf die Möglichkeit der Anwendung von Verfahren zur Streitbeilegung verwiesen.

Die aus der Literaturstudie und den Interviews identifizierten Ursachen für die Bevorzugung von Gerichtsverfahren gegenüber ADR-Verfahren bei Baukonflikten werden in 7 Ursachenkategorien eingeteilt:

  1. Fehlende Kenntnisse und Erfahrungen hinsichtlich ADR-Verfahren
    – Unwissenheit
    – Unerfahrenheit
    – Negative Erfahrung mit ADR-Verfahren
  2. Fehlende Kompetenzen und kulturelle Aspekte im Umgang
    mit Konflikten
    – Mangel an Kompetenzen im Umgang mit Konflikten (Konfliktmanagement)
    – Ausgeprägtes Positions- und Anspruchsdenken
    – Persönliche Motive und Verhaltensmuster
    – Taktieren innerhalb der Konflikte
    – Besonderheiten im Hinblick auf die Kultur im Bauwesen
  3. Systematische Widerstände aus der Organisation der Konfliktparteien
    – Innerbetriebliche Strukturen und Prozesse in den Organisationen der Konfliktparteien
    – Eigene Position und Ansehen innerhalb der Organisation
  4. Systematische Widerstände aus der spezifischen Konfliktsituation
    – Vielzahl an Konfliktbeteiligten
    – Beteiligung von Versicherungen
    – Ökonomische Anreize für externe Rechtsberater
    – Juristische Ausbildung
    – Zu späte Einbindung durch die Parteien
  5. Rolle der internen Rechtsberater
    – Besonderheiten im Zusammenhang mit der öffentlichen Hand
  6. Verfahrensspezifische Ursachen ADR-Verfahren
    – Verfahrensimmanente Nachteile von ADR-Verfahren
    – Rolle der Streitlöser
    – Besonderheiten im Zusammenhang mit konsensualen Verfahren
    – Besonderheiten im Zusammenhang mit kontradiktorischen Verfahren
  7. Verfahrensspezifische Ursachen Gerichtsverfahren
    – Verfahrensimmanente Vorteile von Gerichtsverfahren
    – Einsatz als taktisches Mittel
    – Hohe Autorität der Gerichte

Auf Basis der Literaturstudie und der durchgeführten Interviews konnten Maßnahmen und Handlungsempfehlungen zur möglichen Förderung der außergerichtlichen Streitbeilegung entwickelt und in Handlungsfelder zusammengefasst:

  1. Information und Kommunikation
  2. Ausbildung und Weiterbildung
    – Maßnahmen in der Ausbildung
    – Maßnahmen in der Weiterbildung
  3. ADR-verfahrensspezifische Maßnahmen
  4. Handlungsfeld 4 – Maßnahmen in der Organisation der Streitparteien
  5. Handlungsfeld 5 – Regulatorische Maßnahmen zur Förderung von ADR-Verfahren
    – Maßnahmen bzgl. der Vergütungsregelung von Rechtsanwälten
    – Einbettung von ADR-Verfahren in das bestehende Rechtssystem
    – Maßnahmen im Zusammenhang mit Verfahrenskosten

ADR-Verfahren - Information und KommunikationEine der wesentlichen Erkenntnisse der Studie ist es, dass in der Praxis bislang noch ein großes Wissensdefizit im Hinblick auf ADR-Verfahren vorherrscht. Dies betrifft verfahrensspezifische Aspekte, wie Voraussetzungen, Abläufe und Kosten der Verfahren, aber auch Grundsätzliches, wie die Abgrenzung der jeweiligen Verfahren untereinander. Hier besteht ein großer Bedarf an Aufklärungsarbeit.

Alle Beteiligten benötigen ein besseres Verständnis über die Existenz, Abgrenzung, Anwendungsbereiche und Grenzen, Verfahrensabläufe sowie Vor- und Nachteile von ADR-Verfahren. Die Befragungen zeigten, dass Handlungsbedarf bei allen Beteiligtengruppen vorhanden ist: Direkt am Konflikt Beteiligte, Führungskräfte bzw. Entscheidungsträger in den Organisationen, interne und externe Rechtsberater sowie Versicherer.

Insbesondere für potenzielle Anwender von ADR-Verfahren müssen die zur Verfügung gestellten Informationen hierbei sehr konkret und handhabbar sein. Sie benötigen fundierte Informationen, aus denen der konkrete Nutzen möglichst mit belastbaren Aussagen zur Wirtschaftlichkeit hervorgeht.

Neben dem wirtschaftlichen Nutzen sollte auch die Dauer der Verfahren im Vordergrund der Informationsarbeit stehen. Im Zuge der Digitalisierung ist diese Generation mit kurzzyklischen Prozessen aufgewachsen und sie werden diese auch in Zukunft einfordern. Die Vorteile, die die ADR- Verfahren hier gegenüber dem Gerichtsverfahren aufweisen, müssen belastbar belegt und kommuniziert werden.

Basierend auf weiteren Anregungen aus den Interviews, sollte die Aufklärungsarbeit für die Zielgruppe der Anwender in einem ersten Schritt an die Führungskräfte in den Organisationen sowie die Leitung der internen Rechtsabteilungen gerichtet sein. Von diesen Entscheidungsträgern kann dann ein Wandlungsprozess in den Unternehmen angestoßen werden. Planungsunternehmen könnten gut über die Kammern erreicht werden. Aber auch Hochschulen, Fachverbände, Berufsverbände oder Fachvereinigungen anderer Art sind Adressaten diverser Maßnahmen zur Information und Kommunikation, da sie eine wichtige Multiplikatorfunktion in der Branche einnehmen.

Die Informationsarbeit selbst kann durch Veröffentlichungen in Fachzeitschriften, Vorträgen auf Kongressen oder in Unternehmen, aber auch in Form der Verteilung von Kurzinformationen (Broschüren) umgesetzt werden. Auch Aufklärungsarbeit in der Politik kann an dieser Stelle unterstützend wirken.

Neben Kommunikation und Information wird an vielen Stellen jedoch auch Überzeugungsarbeit notwendig sein. Hier können aufbereitete Fallbeispiele aus der Praxis einen wichtigen Beitrag leisten, den Nutzen und die Vorteile von ADR-Verfahren für die potentiellen Anwender herauszuarbeiten und zu verdeutlichen. Auch die Wissenschaft kann hier wichtige Impulse geben und im Rahmen von Forschungsvorhaben Wertschöpfungspotentiale durch die Umsetzung von ADR-Verfahren nachweisen.

Die im Handlungsfeld 1 aufgeführten Maßnahmen zur Information und Kommunikation können bereits auf kurzfristige Sicht eine Verhaltensänderung bei den Beteiligten bewirken.

ADR-Verfahren - Ausbildung und WeiterbildungMaßnahmen in der Ausbildung

In der Praxis mangelt es den Beteiligten oft an Kompetenzen im Umgang mit Konflikten. Besonders in der Bauwirtschaft wird immer wieder von einer z.T. „aggressiven“ Konfliktkultur berichtet. Um hier eine nachhaltige Veränderung bewirken zu können, bedarf es Maßnahmen in der Ausbildung von Juristen und Ingenieuren. Dieser Gedanke wird vielfach in der Literatur geäußert und wurde auch von fast allen Interviewpartnern hervorgehoben.

Hierzu könnten, zur Unterstützung von Hochschulen, aufeinander aufbauende Lehrinhalte erarbeitet und zugehöriges Lehrmaterial aufbereitet werden. Diese könnten den jeweiligen Fachgemeinschaften zur Verfügung gestellt werden (z.B. Professoren der baubetrieblichen Lehrstühle im Bauingenieurwesen und juristische Fakultäten). Diese Aufgabe könnte von Fachverbänden bzw. Fachvereinigungen übernommen werden, in denen interessierte Hochschullehrer gemeinsam mit Praxisvertretern geeignete Lehrinhalte zusammenstellen.

Um insgesamt in der Gesellschaft einen Wandel hin zu einer konstruktiven Konfliktkultur erreichen zu können, muss jedoch noch wesentlich früher angesetzt werden. Bereits in den Lehrplänen von Schulen könnte die Vermittlung von Kompetenzen im Umgang mit Konflikten in Fächern wie Sozialkunde, Gesellschaftskunde oder auch Wirtschaft und Recht eingebunden werden. In einigen Schulen wird z.B. bereits das Konzept der Mediation bzw. Schlichtung bei Konflikten zwischen Schülern umgesetzt, indem Schüler selbst als Streitlöser bei Konflikten zwischen ihren Mitschülern fungieren. Solche Konzepte sollten dringend ausgebaut und idealerweise flächendeckend eingeführt werden. Hier ist die Politik, insbesondere die Kultusministerien der Länder, gefragt zu handeln.

Maßnahmen in der Weiterbildung

Während die genannten Maßnahmen im Hinblick auf die Ausbildung vor allem auf die zukünftigen Generationen abzielen, müssen auch die Kompetenzen der aktuell in der Bauwirtschaft handelnden Generation an Juristen und Ingenieuren weiterentwickelt werden.

Einen Weiterbildungslehrgang für ADR-Verfahren bieten die BVM BauVertragsManagement GmbH mit dem DGA-Bau an: Streitlöser/in DGA-Bau-Zert® für die Bau- und Immobilienwirtschaft. Im Anschluss besteht die Möglichkeit einer Ausbildung zum/zur Wirtschaftsmediator/in.

Hier sind die Entwicklung und das Angebot von Fortbildungsmaßnahmen bzgl. Konfliktmanagement für Juristen und Ingenieuren in ihren jeweiligen Rollen als Projektbeteiligte erforderlich. Verbände, Unternehmen und Anbieter von Weiterbildungsmaßnahmen können hier durch Workshops und Seminare auch kurzfristig einen Wandel im Umgang mit Konflikten bewirken. Speziell für Baufachanwälte könnten entsprechende Inhalte in die Fachanwaltslehrgänge für Baujuristen integriert werden. Hier sind die Träger von Fachanwaltslehrgängen aufgerufen, neue Impulse zu setzen.

Darüber hinaus ist ein grundsätzlicher Wandel im Rollenverständnis der Anwälte notwendig: Der Anwalt sollte zukünftig nicht mehr nur als Experte für Recht, sondern auch als Experte für Konfliktlösung angesehen werden.

Darüber hinaus ist ein grundsätzlicher Wandel im Rollenverständnis der Anwälte notwendig: Der Anwalt sollte zukünftig nicht mehr nur als Experte für Recht, sondern auch als Experte für Konfliktlösung angesehen werden

ADR Massnahmen

Im Zuge der Interviews wurde deutlich, dass die Begrifflichkeiten von den Befragten uneinheitlich verwendet werden. Die Einführung einer einheitlichen Terminologie und Abgrenzung der ADR-Verfahren ist angebracht. Der Gesetzgeber ist hier aufgerufen, Klarheit zu schaffen.

Ein weiterer wesentlicher Aspekt betrifft die Qualifikation der Streitlöser. Diese wurde im Rahmen der Interviews z.T. in Frage gestellt. Da diese Zweifel nicht nur Einfluss auf die Akzeptanz des Ergebnisses bei den Parteien haben, sondern auch allgemein den Ruf der ADR- Verfahren schädigen können, besteht hier dringend Handlungsbedarf.

Um das Vertrauen in ADR-Verfahren zu erhöhen, muss die Kompetenz des jeweiligen Streitlösers gesichert sein. Es sollte eine neutrale Stelle zur Zertifizierung eingerichtet werden. Auch die Einführung einer öffentlichen Bestellung, wie sie bei Sachverständigen existiert, wäre in diesem Zusammenhang denkbar.

Eine weitere Herausforderung besteht in der Verjährungsproblematik. Bislang kann ein ADR-Verfahren im Sinne der Führung von Verhandlungen zwar die Verjährung gegenüber den Verhandlungspartnern hemmen, nicht jedoch gegenüber Dritten, die nicht an den Verhandlungen beteiligt sind. Im Falle von Nachunternehmerverhältnissen stellt dies jedoch eine Herausforderung dar.

Hier haben die Beteiligten keine andere Wahl, als die Verjährung durch eine Streitverkündung zu hemmen, sofern kein Verzicht auf die Einrede der Verjährung erfolgt. In einer solchen Konstellation kann die Entscheidung somit schnell zugunsten der Gerichtsverfahren ausfallen. Um die Anwendung von ADR-Verfahren nachhaltig zu fördern, müssen auch für dieses Problem Lösungen entwickelt werden.

Organisation der StreitparteienWeiterer Handlungsbedarf besteht in den Organisationen der Streitparteien. Die vorliegende Studie unterstützt die bisherige Wahrnehmung, dass es den Unternehmen an einem systematischen Vorgehen bei der Bearbeitung von Konflikten mangelt. Es bedarf der Einführung von Konfliktmanagementsystemen in den Organisationen. Es sollten, wenigstens in größeren Organisationen, innerbetriebliche Konfliktmanagementsysteme implementiert werden, die Standardprozesse vorsehen, innerhalb derer die Anwendung eines ADR-Verfahrens für den jeweiligen Konfliktfall systematisch geprüft wird.

Im Rahmen der Gespräche mit den Interviewpartnern wurde von vielen Beteiligten geäußert, dass eine Implementierung von ADR-Klauseln in Standardverträgen oder Vertragsmuster die Anwendung der ADR- Verfahren erhöhen würden. Unternehmen, beratende Rechtsanwälte, aber auch Verbände sollten angehalten werden, entsprechende Klauseln in ihre (Muster-) Verträge einzubauen und zum Standard werden zu lassen, ähnlich wie das inzwischen bei der Vereinbarung des Gerichtsstands in Verträgen der Fall ist. Hierfür stellen verschiedene Institutionen diverse Musterordnungen meist kostenfrei zur Verfügung. Eine übersichtliche Auflistung ist in neuen AHO-Heft Nr.37 „Konfliktmanagement in der Bau- und Immobilienwirtschaft“ zu finden.

Weiter wurde im Rahmen der Befragung von zwei Teilnehmern angemerkt, dass eine Einbindung von ADR-Verfahren in die internen Prozesse eines Unternehmens nur dann erfolgreich sein kann, wenn der Einsatz von ADR-Verfahren als strategische bzw. prozessuale Vorgabe durch das TOP-Management erfolgt. Es ist daher wichtig, dass die Führungskräfte der Unternehmen für das Thema sensibilisiert werden. Denkbar ist hier die Entwicklung von speziellen Veranstaltungsformaten für diese Zielgruppe zum Thema Konfliktmanagement seitens der Verbände.

Weiter bedarf es innerhalb der Organisationen einer Veränderung des Rollenverständnisses der internen Rechtsberater. Ein Wandel weg vom reinen „Rechtsanwender“ hin zum Konfliktmanager, würde das Spektrum der Streitbeilegungsarten erweitern und so einen effizienteren Umgang mit Konflikten ermöglichen. Auch hier ist das TOP-Management der Unternehmen angesprochen, das Rollenverständnis intern weiterzuentwickeln und entsprechende Weiterbildungsmaßnahmen für die internen Rechtsberater zu initiieren. Die Verbände sind angehalten, entsprechende Weiterbildungsprogramme anzubieten.

Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Nachteile von Gerichtsverfahren für die Projektbeteiligten kann die Frage aufgeworfen werden, ob und inwieweit eine Situation, in der ein Gerichtsverfahren angestrebt wird, ohne zuvor systematisch die Eignung und die Möglichkeit der Durchführung eines ADR-Verfahrens zu prüfen, als Organisationsverschulden mit etwaigen Haftungsfolgen
z.B. für Organträger eingestuft werden kann.

Die Einführung von Konfliktmanagementsystemen, mit deren Hilfe die systematische Prüfung der Eignung und der Möglichkeit der Durchführung von ADR- Verfahren in der eigenen Organisation verankert wird, kann einer möglichen Haftung entgegenwirken.

Vergütungsregeln von RechtsanwältenMaßnahmen bzgl. der Vergütungsregelung von Rechtsanwälten

Wie sich im Rahmen der Befragung zeigte, bedarf es einer Veränderung hinsichtlich der ökonomischen Anreize für Anwälte, um mögliche wirtschaftliche Hemmschwellen zur Anwendung der außergerichtlichen Konfliktlösung abzubauen.

Das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) sollte im Hinblick auf eine ökonomisch angemessene Vergütung bei der Begleitung von ADR- Verfahren geprüft werden. Der Bedarf einer möglichen Neuregelung sollte daher untersucht und ggf. Anpassungen vorgenommen werden.

Einbettung von ADR-Verfahren in das bestehende Rechtssystem

Sowohl in einigen Beiträgen aus der Literatur als auch aus den Interviews kommt die Notwendigkeit von regulatorischen Maßnahmen seitens des Gesetzgebers stark zum Ausdruck. Denn nicht jeder Fall, der vor Gericht ausgetragen wird, eignet sich auch für eine außergerichtliche Streitbeilegung.

Ein konkreter Vorschlag der Verfasser dieser Studie mit Blick auf die Bauwirtschaft ist die Einbettung von ADR-Verfahren in die VOB/B oder in das gesetzliche Bauvertragsrecht. Denkbar ist hier die Einführung einer Soll-Vorschrift oder einer weitergehenden Verpflichtung zur Vorschaltung eines ADR-Verfahrens vor der Einleitung eines Gerichtsverfahrens in §18 VOB/B Abs. 3 bzw. im Rahmen des neuen Bauvertragsrechts. Bei obligatorischen Regelungen müsste für Fälle, die für ADR-Verfahren ungeeignet sind, ein Umlenkungsmechanismus vorgesehen werden, um diese im Vorfeld auszusortieren.

Maßnahmen im Zusammenhang mit Verfahrenskosten

Auch eine Erneuerung der Kostenregelungen wird in der Literatur vorgeschlagen. Um die finanzielle Unterstützung während der Durchführung eines ADR-Verfahrens zu sichern, könnten Rechtsschutzversicherungen die Übernahme der Kosten eines außergerichtlichen Verfahrens mit in ihre Leistungen aufnehmen. Denkbar ist auch, die Prozesskostenhilfe auf ADR-Verfahren auszuweiten oder ein ADR-Verfahren als Voraussetzung für die Prozesskostenhilfe eines Gerichtsverfahrens festzulegen. Möglich sind auch Kostensanktionen bei verweigerter Teilnahme an einem vorgeschalteten ADR-Verfahren.

Forschungsbericht im Auftrag der DGA-Bau:
„Ursachen der Bevorzugung von Gerichtsverfahren gegenüber der außergerichtlichen Streitbeilegung durch die Streitparteien im Bauwesen“

Schriftenreihe Nr. 5 der DGA-Bau
DGA-Bau-Verlag, Berlin ISBN: 978-3-9817834-4-5
Stand: Oktober 2018

Wissenschaftliche Bearbeitung:
Shervin Haghsheno, Univ. Prof. Dr.-Ing., Dipl.-Kfm. Ana Schilling Miguel, M. Sc.
Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Institut für Technologie und Management im Baubetrieb (TMB)
Fachgebiet Baubetrieb und Bauprozessmanagement
Am Fasanengarten
76131 Karlsruhe

Herausgeber:
DGA-Bau Deutsche Gesellschaft für außergerichtliche Streitbeilegung in der Bau- und Immobilienwirtschaft e. V.

Ansprechpartner:
Claus Jürgen Diederichs
Vorstandsvorsitzender der DGA-Bau

Heidefalterweg 12
12683 Berlin
E-Mail: info@dga-bau.de
Homepage: www.dga-bau.de

Zusammenfassung und Ausblick

Ziel des in diesem Bericht vorgestellten Forschungsprojektes war es, die Ursachen der Bevorzugung von Gerichtsverfahren gegenüber den ADR- Verfahren bei Konflikten in der Bauwirtschaft zu untersuchen und auf Basis der Erkenntnisse Maßnahmen zu identifizieren, die mögliche Anwendungshemmnisse von ADR-Verfahren beseitigen und zu einer Steigerung von deren Anwendung führen können.

Zur Erreichung der Forschungsziele wurden neben einer intensiven Literaturstudie 16 persönliche Interviews mit Akteuren, die den Entscheidungsprozess im Zusammenhang mit der Wahl der Streitbeilegungsart beurteilen können, durchgeführt. Um möglichst viele Sichtweisen in die Untersuchung einfließen zu lassen, wurde bei der Auswahl der Interviewpartner darauf geachtet, dass alle am Konflikt beteiligten Gruppen im Bauwesen vertreten sind. Dies waren öffentliche und gewerbliche Bauherren, Bauunternehmen, Planungsunternehmen, beratende Rechtsanwälte sowie Versicherungen.

Die aus der Literatur und den Interviews identifizierten Ursachen und Maßnahmen wurden ausgewertet und systematisch strukturiert.

Bekanntheitsgrad von ADR-Verfahren erhöhen: Handlungsempfehlungen

Neben der Analyse der Ursachen wurden mögliche Maßnahmen zur Beseitigung der identifizierten Hemmnisse und Widerstände untersucht. Basis war auch hier die Literaturstudie, die mit den Vorschlägen der befragten Personen aus den Interviews und weiteren möglichen Ansätzen aus Sicht der Verfasser dieses Berichts ergänzt wurde. In einem weiteren Schritt erfolgte die Systematisierung der Maßnahmen, aus der die folgenden fünf Handlungsfelder hervorgehen:

  • Information und Kommunikation
  • Ausbildung und Weiterbildung in ADR-Verfahren
  • ADR-verfahrensspezifische Maßnahmen
  • Maßnahmen in den Organisationen der Streitparteien
  • Regulatorische Maßnahmen zur Förderung von ADR-Verfahren

Die in den Handlungsfeldern vorgeschlagenen Maßnahmen reichen von kurzfristig umsetzbaren Maßnahmen, wie beispielsweise Informations- und Kommunikationskampagnen mit allen am Bau beteiligten Gruppen, bis hin zu langfristig umsetzbaren bzw. wirkenden Maßnahmen, wie insbesondere regulatorische Maßnahmen seitens des Gesetzgebers oder Maßnahmen in der Ausbildung von Juristen und Ingenieuren.

Maßnahmen zur Beseitigung der Entscheidung gegen ADR-Verfahren

Die aktuell bei der Verfahrenswahl auf die Entscheidungsträger wirkenden Kräfte führen bislang häufig zu einer Entscheidung zugunsten des Gerichtsverfahrens. Um diesen Kräften entgegenzuwirken, bedarf es effektiver Maßnahmen zur Beseitigung der Widerstände und Anwendungshemmnisse von ADR-Verfahren. Hierfür wurden im Rahmen der Studie Handlungsempfehlungen entwickelt, die nun von den jeweiligen Adressaten aufgegriffen werden können, um einen Beitrag zur Entwicklung einer neuen Konfliktkultur im Bauwesen zu leisten.

Zugleich kann aus den Ergebnissen dieses Forschungsvorhaben gefolgert werden, dass die Ursachen, die der Bevorzugung von Gerichtsverfahren zugrunde liegen, sehr vielfältig sind. Es ist daher zu beachten, dass die Ergreifung nur einzelner Maßnahmen mit großer Wahrscheinlichkeit nicht den gewünschten Effekt hervorbringen werden, da sie i.d.R. nur einzelne Ursachen adressieren können. Vielmehr müssen die erforderlichen Anstrengungen als Maßnahmenbündel angegangen werden, um einen nachhaltigen Effekt erreichen und die stärkere Anwendung von außergerichtlichen Konfliktlösungsverfahren ermöglichen zu können.

Weitere Forschungen zu außergerichtlicher Streitbeilegung

Zur Auswahl geeigneter, effektiver Maßnahmen ist es von großer Bedeutung, dass Handlungsoptionen auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse erarbeitet und geprüft werden. Aus den Ergebnissen der vorliegenden Untersuchung leitet sich aus Sicht der Verfasser weiterer Forschungsbedarf für die Zukunft ab. Einige wesentliche Forschungsansätze sind im Folgenden genannt:

  • Untersuchung der Effizienzvorteile von ADR-Verfahren im Vergleich zu Gerichtsverfahren
  • Ganzheitliche Untersuchung der realen Aufwendungen der Streitparteien im Rahmen der Durchführung von Gerichtsverfahren
  • Ökonomische Analyse der Anreizwirkungen der Reglungen des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) im Hinblick auf Handlungsoptionen zur Streitbeilegung und Erarbeitung von Handlungsempfehlungen zur Anpassung der Regelungen
  • Soziologische Analyse des Konfliktverhaltens der im Bauwesen tätigen Menschen unter Berücksichtigung von deren Herkunft sowie der Spezifika der Baubranche und Erarbeitung von Handlungsempfehlungen zur Befähigung der Akteure im Hinblick auf deren Konfliktverhalten
  • Untersuchung der Optionen zur Gestaltung von Konfliktmanagementsystemen in Unternehmen der Bau- und Immobilienwirtschaft und in komplexen Bauvorhaben

Mit Hilfe dieser und weiterer Forschungsarbeiten können wesentliche Erkenntnisse auf dem Gebiet des Konfliktmanagements in der Bau- und Immobilienwirtschaft gewonnen werden, die zukünftig einen Beitrag dazu leisten können, eskalierte Konflikte zu vermeiden bzw. im Fall eskalierter Konflikte effektivere Verfahren der Streitbeilegung und Baumediation anzuwenden.

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